Burkhard Wegener

Liedermacher und Autor

Burkhard Wegener
Liedermacher und Autor
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1996 erschien ein leicht satirischer Text von mir aus meiner Referendar-Zeit in dem Sammelband "Lehreralltag - Alltagslehrer" aus der Reihe Pädagogik Beltz... (S.70-71)

Ein ungeschriebener Brief an die Eltern

Endlich Lehrer sein! Referendar! Das klingt ein wenig nach Abschluss und Höhepunkt – nach „in-etwas-eingeweiht-werden“ wie in einen alten Zauber. Abschluss eines neunsemestrigen Studiums und einer 12monatigen Prüfungszeit, Höhepunkt einer Ausbildung. Und: Jetzt habe ich erreicht, was als Kind schon in mir rumorte. Fast bin ich kein bisschen erstaunt, dass „meine“ Schüler gar nicht so sehr viel anders auf meine Lehrerkünste reagieren wie die zur Schulklasse aufgetürmten Teddybären vor 25 Jahren beim Lehrerspielen. Habe ich das Prinzip also schon damals durchschaut?            

Manchmal möchte ich einen Brief an die Eltern „meiner“ Schüler schreiben. Genaugenommen habe ich ihn schon oft geschrieben, in Gedanken. In Gedanken habe ich ihn aber dann auch genauso oft wieder zerrissen. „Liebe Eltern meiner Schüler“, stellte ich mir vor zu schreiben. „Liebe Eltern meiner Schüler, vielleicht ist Ihnen nicht immer ganz klar, von wem Ihre Kinder unterrichtet werden. Mir geht es ähnlich. Sie schicken Ihre Kinder in die Schule, ruhigen Gewissens, dass sie dort gut aufgehoben sind, etwas fürs Leben lernen und von kompetenten, selbst- und verantwortungsbewussten Menschen betreut werden. Nun, im Einzelfall mag dies zutreffen. Aber immer öfter werden Ihre Kinder auch von mir unterrichtet. Natürlich bin ich auch kompetent, schließlich habe ich ja studiert. Ich lade Sie gerne zu meinem nächsten Vortragsabend ein, auf dem ich über die Bedeutung des Bruderstreits für den Zerfall des Karolinger Reichs sprechen werde! Und selbstbewusst, indem ich mir meinen Platz am Referendar-Katzentisch nicht streitig machen lasse, bin ich auch. Verantwortungsbewusstsein zeige ich dadurch, dass ich mein didaktisches Handeln reflektiert zur Kenntnis nehme und mir viele Gedanken darüber mache. Zwar komme ich dabei zu keinem Ergebnis, doch dies nur nebenbei. Liebe Eltern“, würde ich dann schreiben, „vielleicht haben Sie bislang in folgenden Kategorien gedacht: Wir sind die Eltern, hier kommen unsere Kinder – und dort sind die Lehrer in ihrer Schule. Vielleicht ist dies zu eindimensional. Zu bedenken wäre, dass nicht nur ihre Kinder unsere Schüler sind, sondern nicht auszuschließen ist, dass Eltern gleichzeitig Lehrer sein können und umgekehrt: Ein Phänomen unserer Gesellschaft. Die Person des Referendars dagegen ist weitgehend ausgeblendet: Er ist weder Lehrer noch Schüler, in den meisten Fällen noch nicht mal Elternteil. Dies zwingt ihn in eine Zwitterrolle, die nur nach exzessivem Alkoholgenuss als angenehm empfunden werden kann. Wenn Sie nun glauben, meine lieben Eltern, der attraktive Junglehrer Linzbach für Sport und Latein, dem Ihre Töchter heimlich Liebesbriefchen zustecken, entspränge der Fantasie des Autors dieser Zeilen und keinesfalls einer mehr schlecht als recht ausgebildeten Lehrergeneration, muss ich Sie enttäuschen: Die Ausbildung ist mehr schlecht als recht. Und das sage ich nicht nur, weil ich weder Sport noch Latein unterrichte. Fangen wir vorne an: Das Studium bereitet einen zunächst mustergültig auf den Lehrerberuf vor, indem eine Schulstunde via Video gemeinsam betrachtet, ausgewertet und schließlich ordentlich verrissen wird. Meist wird bei derartigen Veranstaltungen auch herzhaft gelacht, denn die Universität hat alle Kosten und Mühen gescheut, den Bestand an Schulstunden-Videos auszumisten und die alten Aufzeichnungen aus den 1950er und 1960er Jahren durch aktuellere Filme zu ersetzen. Der aktuellste ist von 1972, ein guter Jahrgang! Und somit über 20 Jahre alt. Ein fliegenbestückter Herr unterrichtet brave Lederhosen-Pennäler und spielt seine Rolle dermaßen schlecht, dass student/-in das Gefühl bekommen muss: Das kann ich natürlich viel besser! Was zuerst wie eine Trockenübung mit eingebautem Lachsack-Effekt aussieht, damit die Studenten nicht schon im ersten Semester die Lust am Studium verlieren, entpuppt sich spätestens im Rückblick auf neun Semester als Höhepunkt didaktischen Anschauungsmaterial. Nun, nach Prüfungsmühle endlich im Referendariat angekommen, erwartet man als bildungshungriger Fast-Lehrer „Butter-bei-die-Fische“. Doch die Ausbildungslehrer irgendeiner willkürlich ausgewählten Schule (einziges Kriterium: Den Wünschen und Zielen des Referendars darf auf keinen Fall entsprochen werden) denken überhaupt nicht daran, dem hilflosen Etwas auch nur ansatzweise unter die Arme zu greifen. Schließlich wird er ihnen einfach fraglos aufs Auge gedrückt; die Hilfe bei ersten Schwimmversuchen als Lehrer strebt daher gegen Null, und nicht nur bei den ersten. Praxisorientierte Hilfestellung verspricht dagegen das Lehrerseminar, in dem eine zu kritisierende Schulstunde auf Video dargeboten wird. Erwartungsfroh sitzen die Referendare im Medienraum. Der Fernseher wird eingeschaltet, Video läuft und: Den Herrn mit der Fliege kenn ich doch irgendwoher…? Gut zu wissen, dass universitäres Studium und Ausbildung im Lehrerseminar derart zahnlos ineinandergreifen! Dennoch, liebe Eltern, kein Grund zur Sorge: Mit den Liebesbriefchen Ihrer Töchter würde der Junglehrer ja irgendwann mal fertig werden – und das mit dem Unterrichten lernt man ja schließlich von selbst – wie beim Autofahren! Doch die Einstellungspraxis der Regierungspräsidien spricht dafür, dass eine solche Situation wohl gar nicht erst entstehen wird. Indiz hierfür ist ja auch die Ausbildung: schließlich wäre es rausgeschmissenes Geld, eine gute Lehrerausbildung auf die Beine zu stellen, wenn hinterher doch niemand eingestellt wird. Man stelle sich vor, ein Bäcker würde sich ungeheure Mühe bei der Gestaltung seiner Backwaren und Torten geben, ohne daran zu denken, seinen Bäckerladen jemals aufzumachen.“                                                                       

So oder so ähnlich würde der Brief wohl aussehen. Ich glaub, ich schreib ihn doch lieber nicht…